Politische Bildung hält die Gesellschaft zusammen
In unserem Live-Talk hatten wir wieder einmal einen hochkarätigen Gast gewinnen können: Cemile Giousouf. Als sie 2013 in den Bundestagswahlkampf zieht, ist sie die erste muslimische Direktkandidatin der CDU. Zwar gewinnt sie nicht nach Erststimmen, zieht aber über die Landesliste in Nordrhein-Westfalen ins Parlament ein. Im Juli 2017, wenige Monate vor ihrem Abschied aus dem Bundestag, ist sie eine von nur 75 Abgeordneten der Unionsfraktion, die für die gleichgeschlechtliche Ehe votiert. Seit Januar 2019 ist sie die Vizepräsidentin der Bundeszentrale für politische Bildung.
Cemile Giousouf entstammt einer Familie, die in Griechenland – genauer gesagt in Thrakien – zur türkisch-muslimischen Minderheit zählt. In Leverkusen geboren, nimmt sie nach der Schule das Studium der Politikwissenschaften sowie Soziologie und Islamwissenschaften in Bonn auf.
Während der Bonner Jahre engagiert sich Giousouf im Deutsch-Türkischen Forum (DTF), einer Unterorganisation der CDU in Nordrhein-Westfalen. 2004 tritt sie dann auch in die CDU ein und will dort dafür sorgen, dass sich migrantenfeindliche Wahlkämpfe wie der von Roland Koch in Hessen nicht wiederholen. Bis sie 2012 beim Wahlparteitag auf Platz 34 der Landesliste NRW gewählt wird, ist sie kommunalpolitisch aktiv.
Vier Jahre im Bundestag
Nach dem Einzug ins Parlament ist ihr wichtig, dass Vertrauen der Wähler nicht zu enttäuschen und ihre Interessen zu vertreten – vor dem Mandat hat sie großen Respekt. Giousouf wird Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Sie ist die erste muslimische Abgeordnete in der CDU-Fraktion. Das nehmen die meisten Kolleg*innen positiv auf, einige Gruppen wie die „Werteunion“ und einzelne Abgeordnete sprechen ihr die Berechtigung ab, die CDU als Muslimin im Parlament zu vertreten.
Hat sie rassistische Erfahrungen gemacht? Giousouf bejaht die Frage, weil sie – wie viele andere Politiker*innen – 2015 und 2016 aufgrund der humanitären Entscheidung der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik am Pranger steht. Als Muslimin und Tochter von Migrant*innen steht sie jedoch mehr im Brennpunkt. Ihr Umgang damit: originelle Ideen! Für jede Hassmail spendet sie mit ihrem Team fünf Euro an Flüchtlingsorganisationen.
Migrationshintergrund in der Politik und politisches Engagement von jungen Menschen
Warum sind so wenige Menschen mit Migrationshintergrund in der Politik? Warum wählen so wenig Menschen? Den Hauptgrund sieht Cemile Giousouf darin, dass sie sich nicht von den Parteien abgeholt fühlen. Hier kritisiert sie auch ihre eigene Partei; allein guter Wille reiche nicht, sie plädiert für eine freiwillige Quote. Sie fordert aber auch junge Menschen mit muslimischen Wurzeln auf, bei Parteien anzuklopfen und mitmachen zu wollen. Es sei ein beidseitiger Prozess.
Tipps für junge Menschen, sich politisch zu engagieren? Am besten in den politischen Jugendorganisationen in der Heimatgemeinde. Darüber hinaus gebe es andere Verbände wie Jugendwerke oder Stiftungen, wo Engagement möglich sei. Praktika in Abgeordnetenbüros gehörten hier ebenso dazu.
In der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) steht Cemile Giousouf dafür, allen Bürger*innen im Land Wissen zur Gesellschaft und zur Politik zu vermitteln. Menschen sollen unideologisch so informiert werden, dass sie dazu in der Lage sind, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Cemile Giousouf wünscht sich, dass das Bildungssystem im Land nach der Pandemie gestärkt wird und Kindern und Jugendlichen kein langfristiger Nachteil durch Corona entsteht.