Sprachrohr für junge Muslime
Die politische und gesellschaftliche Partizipation junger Muslime in Deutschland fördern: Mit diesem Ziel ist unlängst das Muslimische Jugendwerk gegründet worden. Die Initiatoren beschreiben sich als "Visionäre Pioniere und Wegbereiter" professioneller Jugendarbeit in muslimischen Communities. Von Canan Topçu
Ein großer Hörsaal mit unbesetzten Stühlen: Mit diesem Bild wirbt das Muslimische Jugendwerk auf seiner Internetseite dafür, Mitglied zu werden und mitzuwirken. Das Fotomotiv möchten die Initiatoren der unlängst gegründeten Organisation verstanden wissen als einen Appell an junge Muslime, Platz zu nehmen auf einen der Stühle und mitzumischen in den gesellschaftlichen Debatten über Muslime im Allgemeinen und muslimische Jugendliche im Besonderen.
Ein halbes Jahr ist es her, dass sich zwölf junge Frauen und Männer in Frankfurt am Main trafen, um zusammen einen ersten Schritt zu machen – mit der Absicht, hierzulande die gesellschaftliche Partizipation muslimischer Jugendlicher zu unterstützen. Empowerment ist nach eigenen Angaben das Hauptziel des Muslimischen Jugendwerks.
Die Gründerinnen und Gründer sind sich bewusst, dass sie sich am Anfang eines langen Weges befinden. Zu entnehmen ist das nicht zuletzt ihrem Motto - einem Aphorismus, der dem bengalischen Nobelpreisträger Rabindranath Tagore zugeschrieben wird: "Wer Bäume setzt, obwohl er weiß, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird, hat zumindest angefangen, den Sinn des Lebens zu begreifen."
Unüberbrückbare Dissonanzen mit der Ditib
Taner Beklen ist einer der Gründungsmitglieder und Vorsitzender des siebenköpfigen Vorstands. Als Nachkomme türkischer Arbeitsmigranten ist er in Dortmund geboren. Wie viele der Kinder und Enkelkinder dieser Einwanderer hat auch er seine religiöse Sozialisation in einer Moschee durchlaufen. Die religiöse Unterweisung des 27-Jährigen erfolgte in einer Dortmunder Ditib-Gemeinde. Taner Beklen erinnert sich an die vielen Wochenenden, die er mit vielen anderen Kindern in der Gemeinde verbrachte. Als Heranwachsender begann er, sich in der Jugendarbeit seiner Moschee zu engagieren.
Als der Islamverband Ditib sich den hiesigen Verbandsstrukturen anpassend 2014 einen Jugendverband gründete und diesen auf Bundes- und Landesebene aufstellte, machte Taner Beklen mit – anfangs im Landesverband, später als Vorsitzender des "Bunds der muslimischen Jugend", also der Ditib-Jugendorganisation.
Die Dissonanzen zwischen dem Vorstand des Bunds der muslimischen Jugend und der Ditib-Zentrale in Köln müssen unüberwindbar gewesen sein, denn im Mai vergangenen Jahres traten mit Beklen zusammen der gesamte Vorstand zurück. Nach diesem Schlussstrich gingen die Wege der jungen Funktionäre aber nicht auseinander. Im Gegenteil. Beklens ehemalige Mitstreiter in der Ditib-Jugendorganisation sind seine Mitstreiter in der neu gegründeten Organisation.
Sei es der größte islamische Dachverband Ditib, der aufgrund der inzwischen offensichtlichen politischen und ideologischen Verbindung zur türkischen Regierung unter starker Kritik steht, seien es muslimische Verbände wie etwa Milli Görüş oder die Ahmadiyya Muslim Jamaat - die muslimischen Organisationen sind aktiv in der Jugendarbeit; sie erwecken aber nur auf dem ersten Blick den Eindruck, den Fokus auf die hiesige Gesellschaft zu legen. Experten kritisieren immer wieder deren am Herkunftsland ausgerichtete und den hiesigen Standards kaum entsprechende Jugendarbeit.
Jugendwerk als Anlaufstelle für junge Muslime
Der Lehramtsstudent Taner Beklen und seine Mitstreiter verstehen sich als deutsche Muslime und wollen sich von Islamverbänden nicht in ihre Aktivitäten reinreden lassen. Vor allem wollen sie dazu beitragen, dass muslimische Jugendgruppen bei ihren Angeboten sich an pädagogische Standards halten. Explizit in der Satzung des Muslimischen Jugendwerks festzuhalten ist daher, dass sich die Aktivitäten am Kinder- und Jugendhilfegesetz orientieren werden.
Die Liste der Aufgaben und Ziele, die sich das Jugendwerk setzt, ist lang. An erster Stelle steht, die "politische und gesellschaftliche Partizipation junger Muslime zu fördern"; aufgeführt sind in der Satzung des weiteren: Möglichkeiten und Plattformen zu schaffen, durch die junge Muslime sich mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen können; das Demokratieverständnis stärken und innerislamische Heterogenität als Bereicherung vermitteln; sich für die Gleichberechtigung von Frau und Mann engagieren und nicht zuletzt den Austausch mit der Wissenschaft zwecks Weiterentwicklung der muslimischen Jugendarbeit fördern.
"Wir möchten eine Anlaufstelle für all die jungen Muslime sein, die sich entweder noch nie angesprochen fühlten von den Angeboten der klassischen Islamverbände, noch organisiert waren oder sich nicht mehr in den Jugendorganisation dieser Verbände aufgehoben fühlen", erklärt Beklen.
Unabhängigkeit von Islamverbänden wahren
Langfristig möchte das Jugendwerk als Sprachrohr junger Muslime wirken und deren Interessen und Belange vertreten. Vor allem soll die Arbeit "professionell" gestaltet sein, betont Beklen. Dass die besten Vorsätze nichts wert sind, wenn es an den finanziellen Ressourcen hapert, weiß Beklen nur zu gut. Um unabhängig in ihren Entscheidungen und Aktivitäten zu bleiben, wollen die jungen Akteure Projektmittel beim Bund, bei den Ländern und Stiftungen an Land ziehen.
Mitgliederwerbung jenseits des Aufrufs im Internet betreiben die Initiatoren nicht so intensiv. Beklen ist sich sicher, dass sie mit Veranstaltungen und ihren Angebote zur Professionalisierung der muslimischen Jugendarbeit Interessierte von ihrer seriösen Absicht überzeugen werden.
Es sei zunächst ein erster Schritt erfolgt, so Belken. Von der Politik und von Dialogpartnern aus der Zivilgesellschaft wird die Entwicklung um das Muslimische Jugendwerk mit Neugier verfolgt. Nicht zuletzt, weil sie interessiert sind an Akteuren aus den muslimischen Communities, die in Deutschland verwurzelt sind, und nicht unter ausländischem Einfluss agieren.
Canan Topçu