Erstes muslimisches Jugendwerk
Muslimische Jugendarbeit findet in Deutschland vor allem in großen Moscheeverbänden statt. Dies möchte ein neuer Verband ändern: Das Muslimische Jugendwerk tritt an, um gesellschaftliche und religiöse Themen aus der Moschee hinein in die Gesellschaft zu tragen. Von Abdul-Ahmad Rashid
Raus aus den Moscheen, rein in die deutsche Gesellschaft
Es war ein Paukenschlag: Im Mai 2017 trat der Vorstand des "Bundes der muslimischen Jugend" geschlossen zurück. Die Jugendorganisation des größten muslimischen Dachverbandes in Deutschland, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, kurz DITIB, überraschte mit ihrer Entscheidung selbst Insider. Lange Zeit wurde über die Gründe spekuliert, eine Unzufriedenheit hinter den Kulissen vermutet. Taner Beklen war damals der Vorsitzende des Bundesjugendvorstands. In einem Café in der Dortmunder Innenstadt erinnert sich der 27-Jährige:
"Der entscheidende Grund war, dass wir uns nicht so entfalten konnten, wie wir das wollten, weil DITIB als eine Religionsgemeinschaft, ein muslimischer Verband, ist halt ein sehr großer, und da haben sich einige bürokratische Wege angebahnt, die man so geht und so macht, und für uns als Jugendliche gab es da sehr wenig Möglichkeiten, da so schnell voran zu kommen, wie man das möchte."
Taner Beklen hat braune Haare, braune Augen, ist schlank, trainiert und tritt selbstsicher auf: Er wirkt eher wie ein Jungmanager, nicht wie ein Rebell. Doch so wurde der Rücktritt des Vorstandes damals von Beobachtern verstanden: Als ein rebellisches Signal an die Adresse der DITIB.
"Ein aufstrebender dynamischer Jugendverband, der immer mehr machen wollte und immer mehr eigenständig in Gang gesetzt hat. Die Erwachsenen sahen sich nicht mit einbezogen und meinten: 'Halt, stopp, ein bisschen langsamer!' Da kam es dann zu dieser Reibung."
In die Jugendarbeit hineingeboren
Taner Beklen ist in Dortmund geboren und aufgewachsen. Seine Eltern stammen aus der Türkei. Schon als Kind nahmen die Eltern ihn mit in eine Moscheegemeinde, wo er religiös unterwiesen wurde. In seinem Fall in einer DITIB-Moschee in Dortmund."Als Kind wurde ich von meinen Eltern zunächst dahin geschickt, und dann hat man halt dran geschätzt, dass man am Wochenende mit anderen Jugendlichen zusammen kam, nicht nur da was gelernt hat, sondern auch Pause hatte, Fußball gespielt, oder andere Spiele, die damals in waren. Das war die Hauptmotivation."
Damit ähnelt Taner Beklens religiöse Sozialisation der vieler junger Muslime hierzulande. Die Hälfte der in Deutschland lebenden Muslime ist unter 30 Jahre alt. Das entspricht einer Zahl von fast zwei Millionen Menschen. Viele von ihnen engagieren sich in der Jugendarbeit der großen muslimischen Verbände in Deutschland. So wie damals Taner Beklen.
"Hab mich dann auch immer wieder eingebracht in der Gemeinde als freiwilliger Helfer, dadurch, dass meine Eltern auch als ehrenamtliche Helfer und Mitglieder in der Gemeinde tätig waren, bin ich da hineingeboren, sozusagen. Hab dann mehr und mehr die Jugendarbeit mitgestalten wollen, haben uns mit Jugendlichen zusammen getroffen und haben gesehen, dass es in Deutschland christliche Jugendarbeit gibt, konfessionelle Jugendarbeit gibt, und wollte so etwas Ähnliches aufbauen und errichten, und so ist das halt mit der Zeit gewachsen."
Einige Moscheedachverbände in Deutschland setzen schon seit einigen Jahrzehnten auf Jugendarbeit. Die DITIB dagegen war spät gestartet: Erst ist 2014 wurde ihr Jugendverband gegründet. Er vertritt nach eigenen Angaben rund 500.000 junge Menschen. Taner Beklen war zwei Jahre lang Vorsitzender. In seiner Zeit lag der Putschversuch in der Türkei. Die DITIB geriet unter anderem wegen ihres Türkeibezuges immer mehr in die Kritik. Auch der Jugendverband bekam das zu spüren:
"Die waren dann, glaube ich, ein bisschen überfordert und konnten dem nicht gerecht werden, und wir fühlten uns auch nicht mehr so aufgehoben, und es herrschte sowieso so ein Misstrauen generell im Verband wegen der ganzen Sachen, der politischen Sachen, und da war das Ganze dann zum Scheitern verurteilt."
Jugendarbeit unabhängig von Verbänden und Staaten
Als es zum Bruch mit DITIB kam, musste Taner Beklen sich erst einmal neu orientieren. In der muslimischen Jugendarbeit wollte er sich jedoch weiter engagieren. Dann kam die Idee, zusammen mit seinen ehemaligen Mitstreitern eine neue Organisation zu gründen – selbstorganisiert und unabhängig. Die Idee für das "Muslimische Jugendwerk" war geboren:
"Wir haben geredet und haben gesagt, ok, vielleicht können wir in einem eigenen Verband was auf die Beine bringen und vor allem da ansetzen, was fehlt, auszugleichen und die Jugendarbeit, die in DITIB, Milli Görüs und Co verrichtet wird, so ein bisschen ergänzen und auch Jugendliche, die sich in der Verbandsarbeit von den klassischen islamischen Religionsgemeinschaften nicht vertreten sehen, mit einzubeziehen und ihnen eine Möglichkeit zu geben, auch Jugendarbeit zu machen, unabhängig von einen Dachverband, unabhängig von einem Verband, der türkisch oder arabisch ist."
Obwohl schon im Herbst letzten Jahres gegründet, sind die Gründer des Muslimischen Jugendwerkes erst jetzt an die Öffentlichkeit gegangen. Das Jugendwerk will sich mit Themen wie der Gleichberechtigung von Mann und Frau oder dem Verhältnis von Muslimen und Nichtmuslimen beschäftigen - und zwar nicht so eng verknüpft mit dem Herkunftsland wie bisher, so Taner Beklen:
"Wenn in der Gemeinde XY von morgens bis abends der türkische Nachrichtensender läuft, nur die türkische Zeitung ausliegt, dann werden die Menschen, und auch die jungen Menschen nachhaltig von den Themen in der Türkei geprägt und damit beschäftigt und kriegen nicht von den Sachen in Deutschland viel mit, und im Gegensatz dazu wollen wir uns auf die Themen in Deutschland beschränken, aber nicht nur untereinander, wie es in den Moscheen meist leider nur stattfindet, sondern auch mit ganz normalen Menschen aus der Gesellschaft."
Offen für Muslime und Nichtmuslime
Das muslimische Jugendwerk möchte kein besserer Debattierclub sein, sondern die innermuslimische Debatte befördern - auch mit Hilfe einer modernen islamischen Theologie, wie sie momentan an deutschen Universitäten entwickelt wird:
"Wir unterlassen es heutzutage, die Zeichen unserer Zeit zu deuten, zu reflektieren und den Menschen zeitgemäße Antworten zu geben als Muslime, und vergessen immer wieder, dass die Muslime nicht für den Islam da sind, sondern dass der Islam eigentlich für die Menschen da ist, um ihnen das Leben zu erleichtern, um ihnen einen wertegeleitetes Leben zu geben, vor allem eine Anleitung zu sein, um ein guter Mensch zu sein, und nicht einfach nur zu glauben um des Glaubens willen, weil man irgendwelchen Regeln gerecht werden will, die unserer Zeit nicht mehr gerecht werden können."
Laut Satzung ist das Muslimische Jugendwerk offen für Muslime wie Nichtmuslime. Mitglieder dürfen aber nicht älter als 40 sein. Auch die angestrebte Unabhängigkeit hat ihren Preis. Momentan schreiben Taner Beklen und seine Mitstreiter fleißig Projektanträge, um schon bald richtig loszulegen. Und hoffen auf eine Förderung, die sie von ihrem ehemaligen Dachverband DITIB nicht bekommen haben.
Abdul-Ahmad Rashid