Polit-Talk mit Dr. Karamba Diaby
„Das Land ist zu schön, um es den Schreihälsen zu überlassen“
Unseren erfolgreichen Polit-Instagram-Talk im Rahmen des JUMP-Projekts setzen wir fort. Unser heutiger Gast des Abends ist: Dr. Karamba Diaby, den wir zunächst vorstellen möchten. Er kam mit 23 Jahren aus dem Senegal nach Leipzig, wo er zunächst einen Deutschkurs absolvierte. 1986 begann er sein Chemiestudium an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, welches er auch mit einer Promotion erfolgreich beendete. Zur „großen Politik“ kam Diaby im Jahre 2009 als Mitglied des Rates der Stadt Halle - knapp ein Jahr nach seinem Eintritt in die SPD. Diaby ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages und unter anderem Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement. Seit 2001 besitzt er die deutsche Staatsbürgerschaft.
Gleiche Chancen für alle
Sein erstes politisches Engagement galt den Schüler*innen seines Gymnasiums im Senegal, wo er als Schüler*innenvertreter wirkte; auch an der Uni ließ er sich zum Studierendensprecher wählen. Diaby war es immer wichtig, gleiche Chancen für alle zu erwirken. In Halle/Saale war er schon früh im Ausländerbeirat aktiv. Die SPD entdeckte Diaby für sich, weil er dort die Chancengerechtigkeit im Bildungsbereich am ehesten verankert sah und auch noch heute sieht. Gleiche Möglichkeiten für alle: Das ist es, was sich wie ein roter Faden durch Diabys Leben zieht.
Sechs Jahre saß er für die SPD im Stadtrat seiner Wahlheimat Halle an der Saale, bevor er 2013 für ein Bundestagsmandat kandidierte. Im innerparteilichen Wahlkampf setzte er sich gegen einen Konkurrenten ohne Migrationsgeschichte durch. 2013 verfehlte er zwar das Direktmandat, jedoch zog er über die Landesliste in den Bundestag ein. Auch 2017 wurde er wieder „MdB“: Mitglied des Deutschen Bundestags. Dass Diaby im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sitzt, ist natürlich kein Zufall – das Engagement für Bildungsgerechtigkeit zieht sich von seinem Schüler Engagement, über die Vertretung von internationalen Studierenden in Halle bis zu seinem Vorsitz bei der sachsen-anhaltinischen Heinrich-Böll Stiftung zur Bildungsförderung benachteiligter Kinder wie ein roter Faden durch seine Biografie.
Karamba Diaby und die Anfeindungen
Im Senegal sind 95 Prozent der Menschen muslimischen Glaubens. Religiös begründete Konflikte seien seltener so Diaby; es gehe recht liberal zu. Der Abgeordnete selbst glaubt an Humanismus, Frieden und Respekt. „Weiterhin“ muss man fast sagen – denn Anfang 2020 wurde auf sein Wahlkreisbüro in Halle ein heftiger Anschlag verübt. Mehrmals wurde von außen durch die Fensterscheibe in sein Büro reingeschossen.
Und wie nimmt Diaby heute das Klima im Deutschen Bundestag wahr? Im Vergleich zu seiner ersten Wahlperiode sei der Ton 2017 mit dem Einzug der AfD in den Bundestag deutlich rauer geworden. Auch die Redebeiträge seien hasserfüllter – und doch ist Diaby optimistisch, weil bloß eine kleine Minderheit einfach lauter sei als früher, besonders in Social Media. Aber dort herrsche kein rechtsfreier Raum. Viele Menschen würden sich offen gegen die Hetze aussprechen – online aber auch offline. Diaby will die Menschen bestärken: „Dieses Land ist zu schön, um es den Schreihälsen zu überlassen“.
Der Begriff der Rasse
Im Grundgesetz steht der Begriff „Rasse“, der nach Diabys Auffassung längst gestrichen werden sollte. Es gebe keine Menschenrassen. Die unreflektierte Nutzung dieses Wortes grenze Menschen aus. Rassenwahn und rechte Gewalt in Deutschland seien auch keine „Fremdenfeindlichkeit“. Schon allein diesen Begriff hält er für unbrauchbar und völlig deplatziert. Die Opfer vom NSU oder dem Attentat in Hanau waren keine Fremden. Sie waren Söhne, Nachbarn, Freundinnen. Rassismus müsse man auch als solchen benennen, um kein falsches Bild zu erzeugen. Dies gelte auch für die beiläufigeren, alltäglicheren Formen von Rassismus die allgegenwärtig seien.
Kurz vor dem Ende unseres Gesprächs merkt man Diaby an, dass ihm noch etwas durch den Kopf geht. Zwar sprach er kurz zuvor darüber, aber er möchte noch einmal auf den Anschlag auf sein Bürgerbüro zurückkommen. Diesen kann er nicht einfach wegstecken und zur normalen Tagesordnung übergehen, auch wenn er – wie es anhand seiner Biografie ersichtlich wird – kämpferisch und optimistisch bleibt. Solche Angriffe blieben in Erinnerung. Was aber auch in Erinnerung bleibe, sei die unheimliche Solidarität aus der Bevölkerung - auch auf seinen Social-Media-Kanälen. Das mache ihn stark. Diese Solidarität sei das Bollwerk gegen die Einschüchterungsversuche. Abschließend appelliert er noch einmal leidenschaftlich: Wir dürfen Deutschland nicht den Rechten, den ewig Gestrigen und Schreihälsen überlassen. Das ist auch unser Land. Einen Appell, dem wir nur beipflichten können.