An die Mitglieder des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus
EMPFEHLUNGEN AN DEN KABINETTSAUSSCHUSS ZUR BEKÄMPFUNG VON RECHTSEXTREMISMUS UND RASSISMUS
Sehr geehrte Mitglieder des Kabinettsausschusses,
die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit CLAIM begrüßt den Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus und den geplanten Austausch mit der Zivilgesellschaft. Insbesondere die Expertise der von Rassismus Betroffenen ist erforderlich, um wirksame und nachhaltige Handlungsstrategien zu entwickeln.
Wir, eine Allianz aus 35 Organisationen und Projekten der Zivilgesellschaft, wenden uns heute als Betroffene von und Expert*innen zu Antimuslimischem Rassismus an Sie. Die Anschläge in Hanau und Halle, die geplanten Angriffe auf Moscheen in zehn Bundesländern, die tagtäglichen Übergriffe auf Muslim*innen und muslimische Einrichtungen und nicht zuletzt die Diskriminierungen im Alltag – seit Jahren werden in Deutschland Muslim*innen, Menschen, die als Muslim*innen gelesen werden sowie muslimische Einrichtungen zur Zielscheibe von teils sehr gewalttätigen Angriffen, aber auch von ganz alltäglichem Rassismus in Form von Unsichtbarkeit und/oder Missrepräsentation im öffentlichen, kulturellen, sozialen, Gesundheits- und Bildungsbereich. Hiervon erfährt die Öffentlichkeit kaum etwas: 2019 wurden insgesamt 950 islamfeindliche Straftaten gezählt (BMI 2020). Die Dunkelziffer antimuslimischer Hassverbrechen wird von Expert*innen jedoch wesentlich höher, auf das Achtfache, geschätzt.
Antimuslimische Übergriffe werden häufig erst möglich vor dem Hintergrund von Alltagsrassismus. Sie werden aufgrund dessen nicht erkannt und nicht adäquat in präventiven und intervenierenden Maßnahmen berücksichtigt. Menschen, die Rassismus erfahren müssen, werden in ihren Belangen nicht angemessen und genügend berücksichtigt. Das fehlende Unrechtsbewusstsein, die Täterfixierung und die Täter-Opfer-Umkehr sowie die Vermischung von Rechtsextremismus und Rassismus einerseits und von Rassismus und Migration andererseits erschweren die Bearbeitung von Rassismus/-erfahrung und die Stärkung von (als) Muslim*innen (Markierten) und ihren Organisationen.
Immer mehr Menschen sehen sich durch islamfeindliche Debatten und antimuslimische Diskurse ermutigt, Muslim*innen und Menschen, die als Muslim*innen gelesen werden, zu beleidigen, zu diskriminieren oder tätlich anzugreifen. Diverse Umfragen und Studien belegen, dass sich islamfeindliche und antimuslimische Einstellungen in Deutschland seit Jahren auf einem hohen Niveau bewegen. Antimuslimische Ressentiments finden sich in allen Bevölkerungsgruppen und bilden damit den Nährboden und ein Einfallstor für rechte Ideologien, welche wiederum auch den Antisemitismus, Rassismus gegen Schwarze Menschen und gegen Sint*ezza und Rom*nja erstarken lassen sowie zur Diskriminierung von LGBTQI*-Personen, finanzschwachen und be_hinderten Menschen oder Frauen.
Muslim*innen sind als Schwarze, Rom*nja, Trans* und/oder in Intersektion mit anderen Verhältnissen davon spezifisch betroffen. Dies zeigt sich nicht nur auf der Ebene von negativen Einstellungen, sondern insbesondere durch Missrepräsentation und strukturelle Diskriminierung in allen Lebensbereichen.
Vor diesem Hintergrund richten wir uns als Allianz von 35 muslimischen und nichtmuslimischen Akteur*innen und als Expert*innen für die Themen Antimuslimischer Rassismus und Islam- und Muslimfeindlichkeit mit folgenden Erwartungen und Forderungen an den Kabinettsausschuss:- Alle Rassismen benennen und adressieren: Um Rassismus wirkungsvoll zu adressieren und Handlungsstrategien zu entwickeln, müssen der Kabinettsauschuss und das Maßnahmenpaket alle Rassismen in ihren Gemeinsamkeiten, Unterschieden und Wechselwirkungen konkret benennen und in den Blick nehmen. Hierbei reicht es nicht aus, nur allgemein von Rassismus zu sprechen. Zu adressieren sind Antisemitismus, Antiziganismus bzw. Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja, Antischwarzer Rassismus, Antiasiatischer Rassismus und Antimuslimischer Rassismus sowie spezifische Intersektionen wie etwa gegen Schwarze Muslim*innen, muslimische Rom*nja oder jüdische Araber*innen.
- Transparenz und Erfolgskontrolle: Um eine effektive Arbeit des Ausschusses zu gewährleisten, muss die Arbeit des Kabinettsausschusses transparent sein. Die verabschiedeten Maßnahmen und ihre Eignung, die gesetzten Ziele zu erreichen, müssen kontinuierlich und anhand geeigneter Kriterien überprüft werden.
epräsentanz und Einbeziehung der von Rassismus Betroffenen: Als CLAIM-Allianz unterstützen wir die Forderung nach der Einrichtung eines Begleit- und Partizipationsgremiums – entsprechend der Forderungen der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen (BKMO). Die unabhängige Kommission von Expert*innen, Migrant*innenorganisationen, Communities of Color und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen soll insbesondere sicherstellen, dass die Perspektive der von Rassismus Betroffenen in ihrer Diversität einbezogen wird. Ein Kabinettsausschuss, der Rechtsextremismus und Rassismus grundlegend und effektiv bekämpfen will, kann dies nur auf Grundlage der Sachkenntnis und Lebenserfahrung der von Rassismus Betroffenen leisten. - Einrichtung einer Enquete-Kommission „Rassismus“ im Bundestag: Als CLAIM-Allianz fordern wir eine Priorisierung des Themas Rassismus im Allgemeinen und von Antimuslimischem Rassismus im Besonderen, welche über eine punktuelle Bearbeitung hinausgeht. Die Einrichtung einer Enquete-Kommission „Rassismus“ im Bundestag soll garantieren, dass das Thema dauerhaft bearbeitet und die Perspektive von Betroffenen langfristig einbezogen wird. Dabei muss die Enquete-Kommission alle Rassismen adressieren und gleichermaßen in den Blick nehmen, um deren Bekämpfung auf Bundesebene institutionell zu verankern.
- Implementierung von strukturellen Antirassismusmaßnahmen und ihre Ausstattung mit Rechten und Ressourcen (analog zu Antisexismus: Frauenbeauftragte, Frauenförderung, Öffentlichkeitsarbeit, Schutz, Lehrstühle zu Gender Studies, curriculare und institutionelle Querschnittsaufgabe usw.).
Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung, das Engagement zur Prävention von Islam- und Muslimfeindlichkeit auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen durch Programme wie das Bundesprogramm "Demokratie leben!" zu fördern. Insgesamt findet jedoch der Antimuslimische Rassismus bisher weder genügende Beachtung noch ist er in ausreichender Form Gegenstand systematischer Erforschung, um seine Wirksamkeit auf allen gesellschaftlichen Ebenen und die Folgen zu analysieren und präventive sowie Gegenmaßnahmen systematisch und effektiv zu konzipieren und zu implementieren.
Das Problembewusstsein gegenüber Antimuslimischem Rassismus und Rassismus insgesamt und seinen Auswirkungen in der und auch auf die Gesellschaft muss dringend gestärkt werden sowie strukturelle Maßnahmen entwickelt werden, die Gleichstellung gewährleisten, so dass die Wahrnehmung voller Bürger*innenrechte nicht vom Wohlwollen Einzelner abhängt. Das darf kein Nischenthema bleiben – die Bekämpfung jeglicher Rassismen muss ein Querschnittsthema werden!
Wir benötigen ein breiteres Präventionsangebot, Schutz, Partizipation und Stärkung von Betroffenen sowie eine breite, auf die ganze Gesellschaft zielende Aufklärung über die Wurzeln, die Verbreitung und die Wirkung von Antimuslimischem Rassismus. Das sehen wir als parteiübergreifende Verantwortung, die auf Bundesebene angesiedelt werden muss, von dort in die Bundesländer ausstrahlt und rechtsverbindlichen Charakter hat. Alle beteiligten Behörden, Initiativen und die Communities selbst sind mit Ressourcen auszustatten, die es ihnen ermöglichen, dieser Aufgabe nachzukommen.
Ein wirksames Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus muss mindestens die folgenden zentralen Punkte enthalten:
- Die Durchführung einer Bestandsaufnahme zu Erscheinungsformen von Rassismus im Allgemeinen und von Antimuslimischem Rassismus und Islam- und Muslimfeindlichkeit im Besonderen in allen politischen, rechtlichen, kulturellen, sozialen, edukativen, gesundheitlichen, gesellschaftlichen Bereichen. Sowie: Die Entwicklung von wissenschaftlicher Expertise zur effektiven Gleichstellung von Muslim*innen in Deutschland.
- Das Aufsetzen einer Förderrichtlinie zur Erforschung des Phänomens Antimuslimischer Rassismus, seiner Effekte auf Muslim*innen und wirksamer Gegenmaßnahmen.
- Die sofortige Einrichtung des angekündigten „Unabhängigen Expertenkreis Islam- und Muslimfeindlichkeit“ (UEM).
- Die Implementierung von Maßnahmen zur verbesserten statistischen Erfassung von antimuslimisch motivierten Übergriffen: 1) die Etablierung einer Arbeitsdefinition von Antimuslimischem Rassismus auf Bundes- und Länderebene und 2) die Einführung eines bundesweites Meldesystem zur Erfassung antimuslimischer Vorfälle oberhalb und unterhalb der Strafbarkeitsschwelle, inklusive der Erforschung des Dunkelfeldes.
- Die Durchführung verpflichtender und regelmäßiger Diversitäts- und antirassistischer Sensibilisierungsmaßnahmen für alle Berufsgruppen, die sozial, soziopolitisch, gesellschaftlich und biografisch einflussreich sind – insbesondere innerhalb der Sicherheitsbehörden und der Justiz sowie im sozialen, kulturellen, Bildungs- und Gesundheitsbereich.
- Die Ausweitung des Opfer- und Zeug*innenschutzes, der Opfer- und Angehörigenberatung und der mobilen und niedrigschwelligen Beratung für Fälle von Antimuslimischem Rassismus; die Einrichtung eines Rechtshilfefonds.
- Die Implementierung von Maßnahmen zur Prävention von Antimuslimischem Rassismus und Rassismus allgemein in den Regelstrukturen der Bildung sowie der Kinder- und Jugendhilfe.
- Die Einsetzung gesetzlich verankerter Antirassismusbeauftragten (analog zu Frauenbeauftragten) mit Rechten und Ressourcen ausgestattet.
Die detaillierten Forderungen von mehr als 35 Akteur*innen, darunter Menschenrechts- und Beratungsorganisationen sowie Träger der Kinder- und Jugendhilfe, finden Sie in den „Empfehlungen für einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Antimuslimischem Rassismus“ im Anhang.
Die Politik muss sich jetzt konsequent mit antimuslimischem Rassismus auseinandersetzen und dringend weitreichende Maßnahmen ergreifen, um die menschen- und demokratiefeindlichen Ideologien, die bis in die Mitte unserer Gesellschaft reichen, zurückzudrängen und die Gleichstellung von (als) Muslim*innen (Markierten) in all ihren Bedarfen zu gewährleisten.
Bitte verstehen Sie diese Empfehlungen und Forderungen als Aufforderung und Ermutigung mit uns ins Gespräch zu kommen. Gerne erörtern wir sie mit Ihnen im Detail. Wir freuen uns von Ihnen zu hören.