JUMP-Wochenendseminar in Frankfurt
Na, endlich! Nach vielen Monaten des Wartens hat es stattgefunden: unser Wochenendseminar in Frankfurt am Main. Mit 24 Teilnehmer*innen haben wir vom 2.-4.10.2020 eine erfolgreiche Präsensveranstaltung unter strenger Einhaltung der Corona-Hygienemaßnahmen durchgeführt.
Was war das Thema?
Kurz gesagt, haben wir eine Demokratie-Schulung angeboten, in der die politische Partizipation und die Teilhabe am politischen Geschehen als wichtige Grundpfeiler für die gesellschaftliche Integration vermittelt wurden. Auch wenn unser politisches System der Bundesrepublik Deutschland den Bürger*innen die grundsätzliche Möglichkeit bietet – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, sozialem Status oder religiösen Überzeugungen – am politischen Leben teilzuhaben, sind sich die Wenigsten darüber bewusst. Viele sehen die politische Arbeit und die Demokratie als etwas Abstraktes und Verstaubtes an. Jugendliche fällt dies teilweise noch schwerer, da es oft an örtlichen Ansprechpartner*innen in ihrem Alter mangelt.
JUMP – Junge Muslime in die Politik
Das Projekt "JUMP – Junge Muslime in die Politik", welches von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert wird, soll jungen Menschen muslimischen und nichtmuslimischen Glaubens die Wege zu politischer Partizipation aufzeigen und sie mit dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland vertraut machen. Um diesem inhaltlichen Anspruch gerecht zu werden, haben wir unterschiedliche Themen vorbereitet sowie eine vielfältige Auswahl an Referent*innen getroffen. Von Beginn an ist es für uns wichtig gewesen, den Teilnehmenden eine gesunde Balance zwischen theoretischem Input und praktischen Methoden zu halten.
Für die verbindliche Teilnahme am JUMP-Seminar wurden die Plätze öffentlich ausgeschrieben. Abgesehen von den eigenen MJW-Mitgliedern hatten somit auch weitere Jugendliche die Möglichkeit, an dem Wochenendseminar teilzunehmen und das Muslimische Jugendwerk hautnah kennenzulernen. Zwar sollte eine Kerngruppe von maximal 15 Personen gebildet werden, aber aufgrund der diesjährigen Corona-Pandemie konnten wir die Gruppengröße auf 25 Personen erweitern. Dies war möglich, da wir einen viel größeren Raum erhalten haben.
Der erste Tag: Ankommen!
Gestartet sind wir am Freitagnachmittag. Zuvor hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, anzureisen und ihre Zimmer zu beziehen. Empfangen wurden sie mit Getränken und Snacks. Nach der Begrüßung hatten unsere MJW-Mitarbeiter*innen diverse Spiele zum Kennenlernen und Selbstreflexionsübungen mit den Teilnehmenden durchgeführt. Dieser Part hat dazu gedient, dass sich die Teilnehmenden untereinander besser kennenlernen sowie eine reflektierte und kritische Haltung einnehmen konnten. Nach dem Programmende hatten die Teilnehmenden noch die Möglichkeit, Brett- und Unterhaltungsspiele in Anspruch zu nehmen.
Der zweite Tag: Lernen & Spaß haben!
Nach einem leckeren Frühstück am Samstagmorgen, konnten wir Siebo Janssen als unseren ersten Referenten begrüßen. Das Thema seines Vortrages lautete: "Was ist Demokratie und wie können junge Menschen sich daran beteiligen?". Das Thema passte sehr gut, da an diesem Tag "30 Jahre Deutsche Einheit" gefeiert wurde. Sein Referat thematisierte kurz und kompakt das Grundgesetz und seine Entstehung. Zudem referierte er über die deutsche Geschichte, erklärte politisch komplexe Zusammenhänge und appellierte – gerade in der heutigen Zeit – sich in die Gesellschaft einzubringen. Anschließend fand eine Fragerunde im Plenum statt.
QUARARO – Das Demokratielernspiel
Nach dem intensiven und zugleich informativen Vortrag haben wir ein Demokratiespiel für die Teilnehmenden vorbereitet. Dabei hat uns die Referentin Nadia Wernli vom JUMA-Verein unterstützt. Im Rahmen eines Projektes soll dieses Spiel von muslimischen Jugendlichen entwickelt worden sein, erklärte uns die Spielanleiterin.
Das Wort "QUARARO" stammt von dem arabischen "Qarar" und bedeutet "Entscheidung". In einem Warm-Up hat die Spielexpertin gefragt, welche Art von Entscheidung die Teilnehmenden heute schon machen mussten. Neben Einzelentscheiden wurden Gruppenentscheidungen thematisiert. Eine Frage lautete dabei: "Wann gilt eine Gruppenentscheidung als gute Entscheidung?" Daraufhin hat Nadia Wernli die vier demokratischen Entscheidungsformen bei QUARARO erklärt: Mehrheit, parlamentarische Vertretung, Konsens und systemisches Konsensieren.
Dabei wurde verdeutlicht, dass bei der Mehrheitsentscheidung die Meinung der Minderheit völlig untergeht, obwohl diese Form uns doch die bekannteste ist. Durch praktische Übungen haben sich die Teilnehmenden selbst vorgeführt, was es bedeutet, seine Stimme abzugeben und danach keine Kontrolle mehr über das weitere Geschehen zu haben. Analog würde es z. B. bei Wahlen so aussehen, erklärte uns die Spielanleiterin. Aus diesem Grund wurden gewisse Prozesse bei Wahlen erklärt und die Wichtigkeit der Weiterverfolgung in der Politik hervorgehoben. Darüber hinaus wurden noch weitere demokratische Entscheidungsformen durch praktische Übungen erläutert und unter den Teilnehmenden kontrovers diskutiert. Das Ziel vom QUARARO ist es, anhand von einfachen Beispielen die Teilnehmenden dafür zu sensibilisieren, wie Gruppenentscheidungen sich im Alltag entfalten und Minderheiten dabei aus dem Raster fallen. Außerdem werden die Vor- und Nachteile jeder Entscheidungsform durch Parallelen zum Alltag erörtert. Für uns nehmen wir mit: Es ist immer hilfreich, sich theoretisches und praktisches Wissen hinsichtlich der Demokratie und ihrer Zusammenhänge zu erwerben. Als Gruppe haben das Spiel sehr genossen und können es guten Gewissens weiterempfehlen!
Zeit zum Verschnaufen: Mittagspause!
Nach der Mittagspause ging es mit dem Wochenendseminar weiter. Für die Umsetzung und das pädagogische Gelingen des Projektes ist die Zusammenarbeit mit Expert*innen aus dem jeweiligen Gebiet und der Praxis unabdingbar. Als nächste Referentin konnten wir eine Mitarbeiterin von der Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt am Main gewinnen.
Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus
Die Bildungsreferentin Nava Zarabian hat einen Workshop zum Thema "Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus erkennen und dagegen vorgehen! Strategien zur jugendpolitischen Partizipation" gehalten. "Was fällt mir ein, wenn ich an antimuslimischen Rassismus denke?", war ihre erste Frage an die Teilnehmenden. Sie antworteten mit vielen Begriffen: "Hass", "Kopftuch" und "Gewalt". Daraufhin zeigte die Referentin die Coverseiten etlicher Boulevard-Zeitschriften zum Thema Islam und ließ die Teilnehmenden über die Wirkung solcher Titelblätter diskutieren. Dabei fasste die Referentin die im Plenum diskutierte Wirkung und den Zusammenhang mit folgendem Zitat von der Historikerin Yasemin Shooman prägnant zusammen:
"Muslime und Menschen, die als Muslime markiert werden, werden als homogene und essentialistische Gruppe konstruiert, im Verhältnis zur ebenfalls konstruierten Eigengruppe als weniger zivilisiert, weniger emanzipiert, weniger frei und weniger fortschrittlich."
Danach klärte Zarabian die JUMP-Teilnehmer*innen darüber auf, wie antimuslimischer Rassismus überhaupt funktioniert. Hierfür wurden drei Begriffe vorgestellt.
- Homogenisierung: Muslime werden nur im Kollektiv wahrgenommen.
- Essentialisierung: Muslimsein wird als das Hauptmerkmal der Identität eines Muslims/einer Muslima deklariert.
- Dichotomisierung: Muslime werden als die Anderen zugeordnet und werden nicht zum Mehrheits-Wir dazu gezählt.
Nach diesem Muster funktioniert der antimuslimische Rassismus. Die Auswirkungen für die Betroffenen sind dabei verheerend: zum Beispiel auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt oder in der Schule. Nicht zu vergessen sind die vielen abscheulichen Angriffe auf Muslim*innen und Moscheen.
Dabei warnte die Referentin jedoch vor vermeintlich muslimischen Gruppierungen, die auf Social Media aktiv sind. Diese Art von Gruppierungen, die im Namen des Islams ihre Solidarität mit Muslim*innen bekunden, bezwecken durch ihr Vorgehen eher die Spaltung innerhalb der Gesellschaft.
Handlungsempfehlungen gegen antimuslimischen Rassismus
Zum Ende des Workshops hin hat die Referentin mögliche Handlungsempfehlungen gegen den antimuslimischen Rassismus den Teilnehmenden unterbreitet. Zum einen ist die kritische Wahrnehmung und Auseinandersetzung von antimuslimischen Diskursen und Bildern sehr wichtig. Zum anderen ist die Entwicklung einer rassismuskritischen Perspektive und damit die Selbstreflexion der eigenen Verstrickungen unumgänglich. Besonders stark hat die Expertin die Solidarität mit Betroffenen von antimuslimischem Rassismus betont. Die beste Reaktion auf und um antimuslimischen Rassismus vorzubeugen, sind demokratische Gegen-Narrative. Dabei handelt es sich um die Darstellung der Normalität des Islams und von Muslim*innen in der Sport- und Werbebranche sowie in sozialen Medien.
Abgeschlossen wurde der Workshop mit einer Fragerunde im Plenum. Hier hatten die Teilnehmenden noch einmal die Möglichkeit, selbst erfahrene Gegebenheiten bezüglich des antimuslimischen Rassismus zu teilen und ihre Fragen zu stellen.
Argumentationstechniken gegen Diskriminierung
Nach dem Workshop und einer kurzen Kaffeepause folgte der letzte Workshop. Als Referenten haben wir Mahir Türkmen aus dem Team der Vielfaltsprojekte gewinnen können. "Argumentationstechniken gegen Diskriminierung" lautete dabei der Titel seines Workshops. Herr Türkmen präsentierte anschauliche Anwendungsbeispiele, um sich im Alltag vor Diskriminierung zu schützen. Anschließend haben die Teilnehmenden sich in Kleingruppen eingefunden, um über ihre persönlichen Diskriminierungserfahrungen zu sprechen und welche Methoden sie angewendet haben, um sich oder andere zu schützen. Die Gruppen verständigten sich jeweils auf eine Geschichte, die vorgetragen wurde. Der Referent ging auf die zahlreichen Erfahrungen individuell ein und erklärte ihnen, dass viele bereits unbewusst eine Strategie gefunden haben, um mit Diskriminierung im Alltag umzugehen. Am Ende der Reflexion hatte Herr Türkmen die Teilnehmenden mit Nachdruck ermutigt, weiterhin so couragiert gegen Diskriminierung aufzutreten.
Zweiter Tag geht zu Ende…
Nach dem intensiven Tag hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit – nach dem Abendessen – den Tag ausklingen zu lassen. Gemeinsam haben wir das Spiel "Werwölfe" gespielt, das vielen sichtlich Spaß gemacht hat… GRRR! :)
Der letzte Tag: Verabschiedung
Am letzten Tag des Wochenendseminars hat uns Doris Klingenhagen, die Referentin für Inklusion, Migration und Vielfalt der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland ist, zu dem Thema "Wie kann jugendpolitisches Engagement aussehen" bereichert. Nach dem informativen Part zur Demokratieschulung und diversen weiteren Themen hatten die Teilnehmenden die Chance, konkrete Informationen über jugendpolitisches Engagement zu erhalten. Dabei beschäftigten sich die Teilnehmenden zunächst mit Fragen wie "Was kennzeichnet überhaupt Jugendarbeit aus" und "Welche Jugendarbeitsmodelle sind bekannt?". Unter Einhaltung der strengen Hygienemaßnahmen konnten sich die Teilnehmenden in Gruppengesprächen über ihre bisherigen Erfahrungen zu jugendpolitischem Engagement austauschen. Daraufhin hat die Referentin unterschiedliche Modelle der Jugendbildung vorgestellt. Hier wurde deutlich, dass die Jugendarbeit an die Interessen junger Menschen anknüpft und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden sollen. Neben der Jugendarbeit, welche von Verbänden, Gruppen und Initiativen der Jugend angeboten werden, gibt es noch weitere Schwerpunkte: zum Beispiel die außerschulische Jugendbildung, die Jugendbildung in Sport oder die internationale Jugendarbeit. Darüber hinaus hat Doris Klingenhagen über mögliche Förderungsmöglichkeiten von Jugendverbänden aufgeklärt.
Das Muslimische Jugendwerk e. V.
Natürlich ließ sich der Bundesvorsitzende, Taner Beklen, nicht die Chance nehmen, das Muslimische Jugendwerk persönlich vorzustellen, da er es mit anderen Mitstreiter*innen vor knapp drei Jahren aufgebaut hat. Dabei sprach er von Chancen, Herausforderungen und Problemen in der Jugendarbeit – vor allem in der muslimischen Community. Den letzten Part unseres Wochenendseminars haben unsere MJW-Mitarbeiter Elvedin G. und Dominik De Marco in Form eines Post-Workshops zum Thema "Ask a Politician – Einstieg und Werdegang eines Politikers" übernommen. Die Intention dieses Workshops lag darin, aufzuzeigen, dass Jugendliche, die eine ähnliche soziale Herkunft und eine ähnliche Migrationsgeschichte mitbringen, auch einen politischen Werdegang anstreben können und vor allem: sollten! Insbesondere die fehlende Parteiidentifikation vieler Jugendlicher wurde aufgegriffen. Außerdem wurden viele persönliche und politische Fragen beantwortet, die zum Beispiel das Innenleben von Parteien betrafen.
Feedback der Teilnehmenden
Zu guter Letzt haben wir als MJW-Team das Wochenendseminar mit den Teilnehmenden evaluiert. Das Ergebnis ist dabei sehr positiv ausgefallen. Besonders die dargebrachte Diversität der Referent*innen und die Abwechslung von Theorie und Praxis während der Demokratieschulung wurden gelobt.
Dankeschön!
Wir bedanken uns ganz herzlich für die Teilnahme und Mitwirkung aller an unserem Wochenendseminar und freuen uns schon auf das nächste Wochenendseminar mit vielen spannenden Teilnehmenden und Diskussionen.
Bleibt gesund!