Der Traum einer Gesellschaft ohne Rassismus
In Wuppertal geboren, hat Helge Lindh bei der Bundestagswahl 2017 in seiner Heimatstadt das Direktmandat für die SPD geholt. Im Bundestag arbeitet er im Innenausschuss und im Ausschuss für Kultur und Medien sowie im Untersuchungsausschuss zum Anschlag am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016.
Im Rahmen unseres Seminars mit Teilnehmer*innen des Muslimischen Jugendwerks betont Lindh, dass Interreligiosität und interkultureller Dialog inzwischen zu sehr einigen Ritualen unterliegen. Vieles dabei sei gut gemeint, aber das bedeute eben nicht, dass es auch gut gemacht sei. Die Vorstellung von Dialog sei zu sehr in konfessionellen Blöcken gedacht. Doch darin erschöpfe sich das Dasein nicht, denn jeder Mensch definiere sich über viele, viele andere Dinge.
Sobald Menschen nicht-christlichen Glaubens sind oder einen Migrationshintergrund haben, würden genau diese Merkmale von allen anderen überproportional stark bewertet. Das Ziel aller Maßnahmen kann nur sein, dass Dialog zwischen den Blöcken durch den Dialog zwischen Individuen ersetzt wird. Niemand sei umherwandelndes Subjekt seiner Religion.
Rassismusfreie Gesellschaft – wie klappt das?
Lindh hält dieses Ziel für kurzfristig nicht erreichbar, aber man müsse dennoch daran arbeiten, indem politische Gesetze, Alltagsroutinen und persönliche Verantwortung miteinander verknüpft werden.
Der Erfolg stelle sich erst ein, wenn man begreife, dass es nicht nur um Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit gehe und das Problem auf den Rechtsextremismus schiebe. Rassismus sei allgegenwärtig und präge uns allen, weil es in Strukturen und Institutionen lebe. Ohne diese Grunderkenntnis sei eine Gesellschaft nicht in der Lage, den Rassismus zu bekämpfen.
Die Arbeit im Kabinettsausschuss gegen Rassismus und Rechtsextremismus
Die Ergebnisse des Ausschusses spiegeln sich in 89 Maßnahmen wider, etwa im Gesetz zur Förderung der wehrhaften Demokratie. Der Begriff der „Rasse“ soll gestrichen werden, zudem sollen mehr Beratungsstellen und Förderprogramme gegen Rechtsextremismus etabliert werden. Einige Maßnahmen seien sehr substanziell, andere eher symbolisch – doch alle Probleme würden dabei nicht aus der Welt geschafft.
Im Alltag gehöre aber mehr dazu, etwa eine andere Zusammensetzung des Bundestags und mehr Vielfältigkeit in Behörden. Hier zeige sich struktureller Rassismus weiterhin. Die Stimmen der Betroffenen müssten zudem lauter und vor allem besser gehört werden, hier fehle es uns allen noch deutlich an Empathie, an Haltung und an politischem Willen. Lindh fordert zudem das Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger*innen, Drittstaatsangehörige und Menschen mit mehreren Staatsangehörigkeiten.
Politische Bildung sei der Schlüssel und benötige viel mehr Gewicht, dabei gehe es nicht nur um die Prävention von Extremismus. Politische Bildung bedeute, alle Menschen zu befähigen, demokratisches Verständnis zu entwickeln – und zwar als umfassendes Handwerkszeug. Dazu gehöre auch eine gute Erinnerungskultur.
Was können Muslim*innen zu einem besseren Deutschland beitragen?
Zuvorderst müssten Muslim*innen erst einmal zu sich selbst stehen, sie stünden in Deutschland in keiner Bringschuld aufgrund ihrer Religion. Lindh wisse jedoch, dass das sehr schwer sei. Junge Muslim*innen sollen ihren Glauben selbstbewusst leben und laut werden, wenn sie diskriminiert sind. Ihre Stimmen müssten hörbar werden, dazu möchte er alle ermutigen.